Von Ina Lambach
Am liebsten holt er es nachts. Im Dunkel der Nacht ist es klarer, das Plankton hat sich in die Tiefe zurückgezogen. Liter um Liter schöpft er das Nordseewasser, ein paar Kilometer vor der Insel Amrum, in ein Plastikfass. Dann darf es erst einmal ruhen. Er vielleicht auch: Andreas Thaden, 59 Jahre jung, blond, blauäugig, Friese, ist Fischer. In siebter Generation. Seine Vorfahren waren wohl Piraten, Vitalienbrüder, Likedeeler, wie man sie im Norden nennt. Thaden ist heute der einzige Berufsfischer, den die Insel hat.
Krabben, co und nebenbei: Das Salz
Doch mit seinem Krabbenkutter „Butjadingen“ ist er nicht nur hinter Krabben und Co her: Wie nebenbei holt Andreas Thaden das Salz aus dem Meer. Er trocknet das Wasser dank der Abwärme seines Motors und schöpft dann das Salz ab. So kommen Amrum-Fans in den Genuss, den Geschmack „ihrer“ Insel genießen zu können – nicht nur, wenn sie beim Baden das typisch salzige Nordseewasser auf die Lippen bekommen. 3,5 Gramm Salz pro Liter Wasser hat die Nordsee. In einem Fläschchen Salz, wie es Thaden verkauft, stecken 40 Gramm – 11 Liter Nordseewasser passen da locker in die kleinste Damen-Handtasche.
Irgendwann war sie da ‑ die Idee mit dem Salz. Der Umweltschutz war mit ein Grund dafür. Die Leute sollten mit dem Salz zum Nachdenken angeregt werden. Salz aus der Nordsee! Da war doch was mit Schmutz, Dreck, Verklappung, die Kronos Titan.... All das war mit ein Grund, warum Thaden sich Ende der 1970er Jahre bei Greenpeace engagiert hat. Inzwischen hat sich vieles geändert, weil man sich der Dinge bewusster geworden ist und (manches) gelernt hat.
Die Erfolge dagegen, so findet er, der unabhängige, kritische Geist, werden viel zu wenig positiv verkauft. Oder es wird nur halb informiert, zum Beispiel über die süßen Robben: Die fressen 50 Kilo Fisch am Tag – das Futter muss ja irgendwo herkommen, rechnet der drahtige Mann mit der dunklen Sonnenbrille vor.
Erfolge hat man, sagt er: Die Nordsee hat, so sagt er, die zehntbeste Wasserqualität der Welt, die Muschel vor Sylt sei die beste, weil das Wasser so sauber ist. Die Fischereipolitik der vergangenen Jahre schlage sich nieder, „wir haben unsere Fischbestände wieder“ - vor allem bei der Scholle. Und die Tatsache, dass das Watt ‑ ein wunderbar spannendes und gleichzeitig entspannendes Stück Erde und Meer zugleich ‑ seit 2009 auch UNESCO-Weltnaturerbe ist, das zeige ja auch den Erfolg der Politik der vergangenen Jahrzehnte, zeige, dass man in Sachen Umweltschutz viel gelernt habe. Auch auf diese Zusammenhänge will er mit seinem Salz aufmerksam machen.
Gute Umwelt, gutes Wasser, gutes Salz
Die Umwelt liegt ihm sehr am Herzen. Sie war der Auslöser, dass er seit 19 Jahren auf Amrum lebt: ursprünglich stammt der 59-Jährige aus Butjadingen. Das ist ein Stück Erde im Jadebusen zwischen Wilhelmshaven und Bremerhaven. Die Zeiten früher waren alles andere als einfach: Verheerende Fluten veränderten damals das ungeschützte Land - „da kam eine Sturmflut und dann waren die Nachbarn weg“, beschreibt Thaden die damaligen harten Zeiten, in denen seine Vorfahren lebten. Auch dort kämpften um das Jahr 1400 „Piraten“ gegen die Hanse, es gab eine große Schlacht ‑ hier mag ein früher Ursprung für den Spruch „Leewer duad üs slav“ gewesen sein. Schriftlich urkundlich erstmals erwähnt wurde dieser Spruch, der auf mancher friesischen Fahne in den Gärten Amrums weht, übrigens von einem Amrumer ‑ 1844 beim ersten Volksfest der Nordfriesen in Bredstedt in der Nähe von Husum, das eine Demonstration für ein deutsches Schleswig-Holstein war, für die Freiheitsliebe der Nordfriesen. Der Dichter Detlev von Liliencron hat daraus die Ballade vom Fischer Pidder Lüng gemacht, der sich gegen die dänische Herrschaft wehrt.
Die heimische Küste wie ein Wohnzimmer
Andreas Thaden ist ein klares Beispiel für einen Menschen, der diesen Spruch von innen heraus lebt, seine Unabhängigkeit schätzt: Damals, als er noch in Butjadingen zuhause war, hatte man die Weser vertieft. Darüber gerät er noch heute in Rage – und da wird er laut: „Das war eine gigantische Raumveränderung von der Weser!“ Ein Grund für ihn, zu gehen, sich nach Alternativen umzusehen. „Wir Fischer fischen ja an der ganzen Küste“, sagt er, aber „wir brauchen auch eine heimische Küste, so was wie ein Wohnzimmer“. Vor Amrum hatte er schon seit 1995 gefischt, er kannte auch diese Ecke, „das war für mich ertragreicher“. Also machte er die Nordsee um Amrum zu seinem neuen Wohnzimmer. Seine Frau Marie-Luise, Milu genannt, war einverstanden, die Söhne ‑ noch kurz vor dem „kritischen“ Pubertäts-Alter ‑ auch. Im Jahr 2000/2001 fand sich mitten auf Amrum ein Haus mit Reetdach. So ist Thaden heute der Einzige, der hier wohnt und Fischerei betreibt. Die etwa 2000 Amrumer haben ihn gut aufgenommen: „Amrum hat immer Leute von außen gebraucht, weil sie sich selbst nicht ernähren konnten. Und wenn dann ein Fischer kommt, dann ist das ganz was anderes als wenn ein Beruf da wäre, den keiner braucht“, sagt er selbstbewusst.
Frisch in die Gastronomie: "Unser Fischer Thaden"
Heute schreiben die wenigen Gastronomie-Betriebe, die Thaden auf der Insel auserkoren hat, sie zu beliefern, auf ihren Tageskarten, dass „unser Fischer Thaden“ das und das gefangen hat, was heute auf den Tisch des Hauses kommt. Thaden ist - auch da – möchte man sagen, eigen: Er findet, dass man schon wissen muss, wie man mit dem Fisch, den Krabben richtig umgeht. Nur, wenn Wissen, Können und Liebe zu den Produkten da ist, ist auch Thaden mit dabei.
Der drahtige Mann in blauem Baumwoll-T-Shirt und kurzer Hose, Birkenstock-Sandalen, ist ja auch Perfektionist. Auf seinem Kutter, beim Fisch und beim Salz. Dass das Nordseewasser nachts klarer ist als tags, wenn alles zur Sonne drängt, ist ihm nicht genug: Er lässt das Wasser in großen Fässern noch 48 Stunden ruhen, damit sich letzte Plankton-Reste am Boden absetzen. Dann aber ist das Wasser so klar, dass man kaum den Wasserspiegel sehen kann, demonstriert der 59-Jährige am Heck der „Butjadingen“ stolz. Und erst dann darf das Wasser auf die Pfanne über dem Motorraum. Die Schläuche für die Abwärme des Motors laufen drumherum, die Wärme wird so in die Pfanne geleitet und so kann das Wasser langsam verdunsten. Es braucht keine zusätzliche Energie, es gibt kein Abwasser ‑ es ist eine saubere Sache. Spricht‘s und pickt mit einer Pipette ein winziges Stück aus der Salzpfanne: „Das ist Seegras, das muss weg“, sagt der Perfektionist und spricht Klartext über die Salinen am französischen Atlantik: „Da scheißen doch die Möwen drauf!“
Bei ihm nicht, schmunzelt er. Er hat ja schon lange eine „Möwenvergrämungsanlage“ ‑ nicht viel mehr als ein roter Ball an einem Seil, der am Heck des Schiffes übers Wasser baumelt. Auch das verbessert er immer wieder. Sein Vorbild steht in den Weinbergen – dort gibt es eine „Vogelvergrämungsanlage“. Zuletzt hat er seine Anlage weiter seitlich gesetzt, das hat sich als effektiver erwiesen. Thaden bleibt mit seinen Ideen nicht einfach stehen, er entwickelt sie fort.
"Ich suche Lösungen"
Bis das Salz aus der Nordsee vor Amrum mit einem kleinen Sieb abgeschöpft werden kann, ist es ein kontinuierlicher Gewinnungsprozess. Das „Fleur de Sel“, die „Blume des Salzes“, die sich als ganz zarte Flocken auf dem Wasserspiegel schwimmt, wird immer wieder abgeschöpft - dann erst das, was am Boden bleibt. Thaden gibt das Salz durch ein einfaches Küchensieb mit einer Filterwolle, drückt es mit schneller Handbewegung ein paar Mal auf und nieder, damit auch ja der vorletzte Rest Wasser herausgedrückt wird. Anfangs hat er dafür eine Salatschleuder benutzt, um die Zentrifugalkraft zu nutzen. Doch das war ihm nicht gut genug. Oder zu umständlich. Er verbessert seine Dinge immer wieder. Dabei ist er alles andere als ein Daniel Düsentrieb: „Ich habe ein Problem und suche Lösungen“, rückt er ganz cool die Dinge zurecht. Einfach überlegen und ausprobieren. So kam er auch auf emaillierte Backbleche als Nachtrocknungsform ‑ das aggressive Salz mag nicht jedes Material. Die Backbleche werden in ein Sandbett gebettet – damit auch ja alles gleich gut trocknen kann, egal wie sein Kutter schaukelt.
Überhaupt die Bewegungen des Kutters: Sie sorgen dafür, dass die Salzkristalle immer anders werden. So hat er zum Beispiel schon große Kristalle in Pyramidenform ernten können. Schnee hat er auch. „Wenn Du Schnee hast, bist Du der Größte“, hat ihm ein Salz-Experte gesagt. Schnee hat er, lächelt er stolz. Aus Salz. Schmilzt hervorragend auf Steaks oder rohem Fisch.
Andreas Thaden ist ein bisschen überrascht vom Erfolg seiner Salz-Idee. Im April 2015 hat er sein erstes Salz vorgestellt. Seine Frau Milu verkauft es neben den Krabben im „Steuerhaus“ an der Steenodder Mole – quasi am Ende der Landschaft, dahinter die See. Wenn die rote Fahne gehisst ist, die bis zum Fähranleger in Wittdün sichtbar ist, gibt es Krabben und Salz frisch vom Kutter.
Die Nische Salz: Ein Lifestyleprodukt
Im Supermarkt gibt es das Salz auch – manchmal. Im Regal findet sich der Hinweis, dass es eben nicht jederzeit verfügbar ist. Vier, manchmal auch fünf Kilogramm sind es, die Thaden in der Woche ernten kann. Anfangs war es gerade mal ein Kilo. Abgepackt wird es zuhause. Manchmal kommen Freunde, dann helfen sie einfach mit, das weiße Gold der Nordsee in hohe, schmale Glasfläschchen zu 40 Gramm oder eckige Gläser zu 100 Gramm abzufüllen. Das gefällt ihm. Hatte doch anfangs seine Frau ihn beim Einpacken seiner Idee einfach mit einem Glas Wein allein gelassen. Inzwischen haben schon Sterneköche bei ihm in der Küche sein Salz verarbeitet ‑ einfach gut: Zum Beispiel in einem Kartoffelstampf, in den kleingeschnittener Eisberg- oder anderer knackiger Salat mit den großen Salzkristallen eingearbeitet wird: „Dann nimmt man zuerst ein bisschen von dem Kartoffelstampf und dann kommt der Salat mit dem Salz - das sind echte Geschmacksexplosionen!“, hebt er die Stimme.
Medien interessieren sich schnell für ihn, kaum ein Jahr später war er schon im Fernsehen, auch ich habe ihn schon 2016 interviewen dürfen. „Das Salz ist vielleicht auch ein Lifestyleprodukt“, meint er. Ein Souvenir für die vielen Amrum-Touristen ist es sowieso: Für jene Urlauber, die „ihre“ Insel lieben ‑ eine einzige, kilometerlange Sandbank, die Ruhe schenkt wie kaum eine andere Insel, die nie überlaufen ist, auch in der Hochsaison nicht, die man immer wieder besuchen möchte, wo man sich immer wieder von den salzigen Nordsee-Wellen schaukeln lassen möchte. Für sie ist das Salz ein Stück Nordsee für zuhause.
Das Salz der See auf den Lippen spüren
Dass die Idee mit dem Salz so ein Erfolg wird, das hat der 59-Jährige, der eigentlich schon längst in Seefahrer-Rente hätte gehen können, das aber gar nicht will, nicht erwartet. Er macht jetzt halt ein bisschen langsamer. Er muss ja nicht alles auf dem Kutter machen. Das Salz schon. Und dass er jetzt ein richtiger Promi ist, das ist ihm relativ wurscht: „Das tut mir nix“, sagt er und grinst. Man ist ja nicht auf Sylt, sondern auf Amrum. Aber den salzigen Erfolg ein bisschen genießen, das mag er dann doch. Und kümmert sich wieder um seinen Kutter. Der Fang diese Tage war schlecht. Er ist früher als geplant von seinem letzten Fischzug zurückgekommen. Zeit für Wartungsarbeiten – danach erst wieder: Zeit für das Salz in der See.
Mit dem „Amrumer Meersalz“ nehmen Fans ein Stück Nordsee mit nach Hause: Den Geschmack der kleinen Insel mit dem riesengroßen Strand. Um bis zum nächsten Urlaub das Salz der See auf den Lippen zu spüren. Ganz so, als würde man sich von den Wellen schaukeln lassen.